
Liebe Leserinnen und Leser,
wir haben die Gelegenheit ergriffen und schon im Juli – als die Pressmetaller in Hoym noch für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten – Kontakt mit Prof. Rüdiger Bähr von der Uni Magdeburg aufgenommen, um weitere Informationen zum Druckgussverfahren einzuholen. Professor Dr. Rüdiger Bähr ist Leiter des Bereiches Ur- und Umformtechnik am Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Sehr geehrter Herr Prof. Bähr, seit wann hat sich das Druckgussverfahren durchgesetzt, wer sind heute die Marktführer in der Branche und in der Region?
Das Druckgießen geht auf Entwicklungen und Patente zurück, die in das Jahr 1900 datiert sind und eng mit der Entwicklung der Aluminiumgusslegierungen einhergehen. Mit dem „neuen“ industriellen Werkstoff Aluminium stand nun ein Material zu Verfügung, dass mit einer Gießtemperatur von um 700 Grad deutlich kälter war als die Eisenlegierungen und deshalb sogar in metallische Dauerformen (Kokillen und Druckgießformen) gegossen werden konnte. Ich halte Vorlesungen zum Druckgießen sowie zu den dazugehörigen Sonderverfahren und habe Vorlesungen zur Geschichte des (Druck-)Gießens sowie zu „Otto-von-Guericke und das Gießen“ gehalten.
Eine der wichtigsten Druckgießereien in Sachsen-Anhalt ist sicherlich die BOHAI TRIMET Automotive mit den Gießereien in Harzgerode und Sömmerda. Übrigens arbeiten wir mit dieser Druckgießerei schon seit vielen Jahren erfolgreich zusammen. Die Firma organisiert mit uns studentische Exkursionen, vergibt Themen für studentische Projekt-, Bachelor- und Masterarbeiten und – nicht zuletzt – wir bearbeiten gemeinsame Forschungsprojekte zum Druckgießen. Nach dem Studium finden Absolventen eine sehr ansprechende Arbeitsstelle in der Druckgießerei wie zum Beispiel Dipl.-Ing. Mathias Meinen, der Werkleiter.
Übrigens ist Deutschland ein nennenswerter Gussproduzent:

Welche Rolle spielten und spielen der Bereich Ur- und Umformtechnik an der Uni Magdeburg bei der Entwicklung und dem industrienahen Einsatz der Druckgießtechnologie?
Neben der Ausbildung der Studenten sowie einer betrieblichen Weiterbildung wird im Rahmen von Forschungsprojekten eine Weiterentwicklung zur Druckgießtechnologie betrieben. Kürzlich ist ein Projekt zu Al-Druckgusslegierungen mit Partikelverstärkungen gestartet und zu Standzeiterhöhungen der Werkzeuge mittels Lasertechnologien ist ein Projekt in Vorbereitung.
Welche industriellen Einsatzgebiete und technischen Grenzen ergeben sich aus den technologischen Möglichkeiten des Druckgießverfahrens und für die Herstellung welcher Produktgruppen bietet sich das Druckgießverfahren an?
Hier lieferte uns Prof. Bähr diese aufschlussreiche Tabelle:

Welche Folgen ergeben sich aus dem Wandel in der Automobilindustrie für die Druckgussanbieter, gibt es vielleicht sogar neue Einsatzgebiete, auf die die betroffenen Unternehmen reagieren sollten? Kann man das Verfahren selbst an die neuen Entwicklungen und die sich verändernde Marktsituation anpassen?
Eine Aussage zum Wandel in der Automobilindustrie gibt als Beispiel diese interessante Grafik zu Gussteilen in modernen Elektro-Automobilen:

Wo sehen Sie außerhalb der Automobilbranche neue interessante Herausforderungen und Kooperationsmöglichkeiten für die Anwender des Druckgießverfahrens?
Herausforderungen sehe ich in der IT-Branche (exzellente elektrische Schirmungseigenschaften), in der Medizin (filigrane chirurgische Ausrüstung) sowie in vielen anderen Industriebereichen (Armaturen, Beschlagteile, Pumpenelemente).
Wie kann Ihr Institut durch industrienahe Begleitung als Partner der Wirtschaft und im konkreten Fall als Unterstützer bei der angestrebten Sanierung der Pressmetall-Gruppe in Erscheinung treten?
Die Grundvoraussetzung für eine Unterstützung ist natürlich, dass das Unternehmen so etwas auch tatsächlich wünscht. Leider gab es bis jetzt keinerlei Bereitschaft zur Zusammenarbeit (Exkursionsangebote, Projektangebote, Kooperationsverträge, Angebote für irgendwelche studentische Arbeiten oder ähnliches). Das Unternehmen ist leider auch nicht in regionalen Unternehmensverbänden (z.B. Mahreg) organisiert.

apl. Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Rüdiger Bähr
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung
Bereich Ur- und Umformtechnik
Universitätsplatz 2 • 39106 Magdeburg
E-Mail: ruediger.baehr(at)ovgu.de