Interview mit Julian Vonarb

Oberbürgermeister Julian Vonarb sagt im Interview: „Gera hat, was alle suchen!“

(01.07.21) Am Anfang seiner Zeit als Oberbürgermeister jagte ein Termin den nächsten. Begrüßen wollte man sich, beglückwünschen und kennenlernen, mit Unternehmern ins Gespräch kommen, Visionen austauschen und viele Wege auf einmal ebnen. Julian Vonarb war beeindruckt von dem landesweiten Interesse an seiner Person und der zukünftigen Ausrichtung der Stadt Gera.

Als Stadtoberhaupt nahm er sich vor, ab dem ersten Tag vornehmlich aktiv an der Weiterentwicklung der Stadt zu arbeiten. Er wolle nicht alles neu machen, betonte er von Anfang an. Das, was funktioniere, solle gestärkt und bereits vorhandene Ideen und Konzepte aufgegriffen werden. Mittlerweile sind die ersten drei Jahre seiner Amtszeit vergangen. Der Terminkalender weiterhin ohne Lücke, Anfragen, die sich stapeln – und ein Telefon, das ohne Gnade klingelt.

Aber das sei gut so. Nur so komme man voran. Eine Einstellung, die einiges abverlangt und die man nicht ohne Wegbegleiter durchhält, die es sich ebenso zur Aufgabe gemacht haben, Gera voranzubringen.

Erinnern Sie sich an den Moment, als feststand, dass Sie der neue Oberbürgermeister der Stadt Gera sind? Was war das für ein Gefühl? Was ging Ihnen als erstes durch den Kopf?

Es war wirklich ein unbeschreibliches Gefühl und mein erster Gedanke war: Die viele Arbeit der vergangenen vier Monate hat sich gelohnt. Gera ist bereit für einen Neuanfang! Ich war sehr dankbar, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler für mich gewonnen zu haben, denn mir war immer klar, man hat zwar hart dafür gearbeitet, aber am Ende ist man abhängig vom Wählerwillen und hat das Ergebnis nicht selbst in der Hand.

Haben Sie ein Lebensmotto? Wie spiegelt sich dieses in Ihrer täglichen Arbeit wider?

Mein Motto ist ganz klar: „Acta non verba“, also „Handeln, nicht reden“. Wichtig ist, den Mut zu haben, etwas anzupacken und keine Scheu, falls der Plan nicht aufgeht. Jede Erfahrung ist wichtig und erweitert den persönlichen Horizont. Wer nur redet, aber nichts in die Tat umsetzt, verliert an Glaubwürdigkeit. Mein Team und ich trauen sich etwas, und wurden belohnt. Außerdem versuche ich, positiv zu denken und mit Ruhe Dinge anzugehen.

Sie sind als Oberbürgermeister parteilos. Warum? Welche Rolle spielt das in der Kommunalpolitik?

Demokratie ist nicht immer einfach. In Gera gibt es ein Spannungsfeld vor allem durch ein breit vertretenes Parteienspektrum mit insgesamt acht Fraktionen und mit zum Teil acht Meinungen. Dies führt manchmal zu unvorhergesehenen Entwicklungen. Ich selbst muss und möchte neutral sein und gehöre deshalb keiner Partei an.
Ich freue mich, dass wir seit 2019 den Stadtrat als Livestream im Internet übertragen. So können die Bürgerinnen und Bürger und jetzt Interessierte den Stadtrat auch am Bildschirm mitverfolgen und Demokratie erleben. Ab September wird es zusätzlich Gebärdendolmetscher geben, die die Sitzung begleiten.

Wie gestaltet sich Stadtratsarbeit und welche Herausforderungen und Chancen sind damit verbunden?

Der Stadtrat ist wichtig im Zusammenspiel zwischen Stadt und Bewohnern. Die Stadtverwaltung versteht sich als Partner des Stadtrats. Leider sind die Fronten bei manchen Themen sehr verhärtet und zu viele Befindlichkeiten stehen im Vordergrund. Manchmal vermisse ich den Aspekt „gemeinsam an einer Sache zu arbeiten“. Manche Stadtratssitzung hat Ähnlichkeit mit Debatten im Bundestag. Man sollte sich bewusst sein, dass Kommunalpolitik aber so nicht funktioniert bzw. das auch ein schlechtes Licht auf die Stadt wirft, wenn sich Stadträte ständig streiten, beschimpfen und ins Wort fallen. Ich habe positive Erfahrungen mit Politik in kleinen Gemeinden.

Ein Fokusthema Ihrer 6jährigen Amtszeit war von Anfang an die Stärkung der Wirtschaft in Gera und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Welche Bilanz ziehen Sie zur Halbzeit?

Ich verstehe mich als ersten Wirtschaftsförderer der Stadt. Als Oberbürgermeister ist es nicht nur meine Pflicht, sondern auch eine Herzensangelegenheit, im engen Kontakt mit Unternehmen zu stehen und sich intensiv auszutauschen. Viele regionale Partner wirken deutschland- und europaweit, zum Beispiel Meleghy Automotive oder das Hermes Verteilzentrum. Der Thüringer Kräuterhof produziert Tee für die ganze Nation.
Gera als Wirtschaftsstandort bietet so viel. Neben der guten Autobahnanbindung haben wir eine gute Mischung zwischen ländlichen und städtischen Bereichen. Dass sich ein internationales Unternehmen wie Amazon bei uns ansiedelt, zeigt deutlich, dass Gera als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig ist und im überregionalen Vergleich mithalten kann. Neben Amazon konnten wir die Möbelhauskette XXXLutz für uns gewinnen. Außerdem möchte Bauerfeind einen zweiten Standort eröffnen. Damit verbunden sind insgesamt tausende Arbeitsplätze. Sie sind das A und O für einen Aufschwung. Wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, bedeutet das immer auch, dass sich Menschen ebenfalls zum Leben in Gera entscheiden. Wir brauchen mehr Fachkräfte, mehr Familien, damit Leben und Attraktivität entstehen kann. Eine starke Wirtschaft hat immer positive Auswirkungen auf die gesamte Stadtentwicklung.
Ein starkes Gera benötigt außerdem eine gute Haushaltsführung. Wir haben es geschafft, den dritten Haushalt in Folge ohne Bedarfszuweisungen aufzustellen. Das ist eine große Leistung und ein wahrer Kraftakt.

Gera hat im Bereich Erholung einiges zu bieten. Wie steht es um das Engagement rund um Umweltschutz, Klima und Nachhaltigkeit?

Gera hat viel Grün und das ist toll. Unser Stadtwald ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Thüringens. Wir haben viele Parks und ein einladendes Elsterufer mit einem Stadtstrand. Unser Tierpark ist ein absoluter Besuchermagnet und über Geras Grenzen hinaus beliebt. In den kommenden Jahren wird es eine Neuausrichtung mit entsprechendem Tierparkkonzept geben. Auch haben wir in der Verwaltung einen Klimamanager, denn Klima und Nachhaltigkeit bestimmen den Zeitgeist. Ein Energie- und Klimaschutzkonzept bringt nichts auf dem Papier, es muss gelebt werden.
Wir engagieren uns zudem immer stärker für Alternativen im Bereich Mobilität. Mein anspruchsvolles Ziel ist es, dass Gera die Mobilität der Zukunft für Deutschland aktiv mitgestaltet: Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen? Welche Bedeutung wird das Auto für uns dabei spielen, im Alltag und auf Reisen? Wie werden Städte ihre Verkehrsprobleme lösen und wie kann Mobilität auch im ländlichen Bereich gesichert werden?
Wir werden dabei unterstützen, als Anwenderregion Antworten auf solche und weitere Fragen zur Entwicklung der Mobilität zu liefern. Unser autonomer Kleinbus EMMA war erst der Anfang. Mit der Stadt Zwickau ist nun eine Kooperation besiegelt worden, die ebenfalls wichtige Visionen voranbringen wird.

Sie sind nicht nur Stadtoberhaupt, sondern auch Dienstherr von rund 1200 Beschäftigten in der Stadtverwaltung Gera. Was hat sich in den vergangenen Monaten in der Verwaltung getan? Welche Entwicklung fand bisher statt, wenn es um Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger geht?

Vor allem durch die Corona-Pandemie haben wir einen deutlichen Sprung im Bereich Digitalisierung und Homeoffice gemacht. Außerdem findet ein Generationswechsel in der Stadtverwaltung statt. Viele Kolleginnen und Kollegen verlassen uns aufgrund ihres Alters und gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Neue Generationen kommen nach, mit neuen Ansichten, anderen Erfahrungen und Lebensläufen. Die Mischung ist spannend und bringt uns in der Verwaltung nach vorn.
Ich habe immer folgenden Maßstab gesetzt: Wir sind der Dienstleister für unsere Bürgerinnen und Bürger und müssen bürgernah und serviceorientiert arbeiten. Und dann ist es eben auch schön, wenn ein Lob zurückkommt. Vor einigen Wochen habe ich über die sozialen Netzwerke eine Nachricht mit viel Lob zu einem Besuch in unserem H35 erhalten. Es freut mich, wenn ein kleiner Dank dann auch kommuniziert wird. Denn die Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung machen keinen einfachen Job und stehen wegen Sparmaßnahmen und Personalmangel auch sehr unter Druck. Gemeckert wird nämlich oft schnell, aber tauschen will dann keiner.

Stichwort Bürgernähe. Wie transportieren Sie Themen in die Bevölkerung? Wie klären Sie auf und warum ist das wichtig?

Ich möchte Menschen dazu bewegen, sich für die Themen der Stadt zu interessieren und einzusetzen. Das geht nur, wenn sie die Hintergründe verstehen bzw. wie sie die Berichterstattung in den Medien bewerten müssen. Die Darstellungen sind gefühlt teilweise einseitig oder nicht umfassend. Dadurch kann ein falsches Bild der Tatsachen entstehen. In diesem Jahr habe ich deshalb zwei neue Formate auf den Weg gebracht – den digitalen Bürgerdialog und mein wöchentliches Update „Vonarb direkt“, in denen ich zum Beispiel Themen aus dem Stadtrat oder aus der Verwaltung und zum Stadtgeschehen platziere.
Grundsätzlich versuche ich, immer ein offenes Ohr zu haben. Mich kann jeder auf der Straße ansprechen oder auf anderen Wegen kontaktieren. Natürlich gelingt es nicht immer, den Überblick zu behalten und alles sofort in Angriff zu nehmen. Ich behaupte aber, eine wirklich gute „Kümmerer“-Quote zu haben. Jeder Impuls aus der Bevölkerung ist wichtig.
Damit meine ich nicht nur die Wähler. Ich spreche hier auch von den Menschen in Vereinen, in ehrenamtlichen Tätigkeiten, Menschen aus allen Schichten und vielen Kulturen, Gastronomen, Unternehmer, Künstler… Was sie zu sagen haben, muss der Fokus sein, sonst verliert man den Anschluss.

Gera war schon vieles: Hochschulstadt, Otto-Dix-Stadt, hatte eine Fettguschenkampagne und hat in den letzten 10 Jahren oft seinen Charakter neu definiert. Ein neues Stadtmarketingkonzept gibt es noch nicht. Wie würden Sie persönlich die Identität Geras zusammenfassen?

Gera sehr vieles zu bieten, mehr als manche denken und unsere Aufgabe ist es, das der Welt zu zeigen. Aus dem Spruch „Gera hat was, alle suchen“ muss werden „Gera hat, was alle suchen.“ Und wir sind auf dem besten Weg. Wir müssen unsere Kultur nach außen tragen und uns als Stadt neu definieren. Ein Stadtmarketingkonzept nimmt langsam Gestalt an und ich bin guter Dinge, dass wir uns in den kommenden 18 Monaten darauf besinnen werden, wer wir sind und das auch nach außen tragen.
Zugegeben, es ist es nicht einfach, nach diesen vielen verschiedenen Bildern ein neues Image zu kreieren, mit dem man sich langfristig identifizieren kann und das vor allem unseren Aufwind wiederspiegelt.
Wir haben Visionen und große Projekte, die zukunftsweisend sind. SMARTCity oder ein neues Nutzungskonzept unseres Kultur- und Kongresszentrum gehören zum Beispiel dazu. Geras Neue Mitte ebenso.

Passend dazu: Themen wie das SMARTCity Projekt wirken abstrakt und nicht greifbar. Hier muss sicher auch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wie ist der aktuelle Stand?

Ja, derzeit wird daran gearbeitet, mehrere Pilotmaßnahmen umzusetzen, damit wirklich etwas Greifbares entsteht. Es ist geplant, ein digitales Stadtleitsystem zu etablieren oder zum Beispiel auch Mitdenkende LED-Straßenlaternen, die automatisch das Licht dimmen und heller werden, sobald sich ihnen Fahrzeuge, Fahrräder oder Fußgänger nähern. Das ist spannend und soll in Gera bald Realität sein. Zusätzlich verfügen diese über Strom-, Medien- und WLAN-Anschlüsse und eine Ladestation, zusätzlich dienen sie als Notrufeinrichtung. Damit tragen die Laternen zur öffentlichen Sicherheit bei, schonen die Umwelt und reduzieren gleichzeitig außerdem den Energieverbrauch um bis zu 70 Prozent. Auch die Müllentsorgung soll in Gera effizienter werden. Dank optischer Sensoren zur Messung des Füllstandes von Glascontainern können Touren optimiert sowie Überfüllung und Leerfahrten vermieden werden.
Genau das alles ist SMARTCity! Das Gesamtprojekt ist aktuell noch in der Konzeptphase. Wenn der Stadtrat am Ende den Beschluss dazu fasst, kann es neben den Piloten bald flächendeckend losgehen und Gera bald von A bis Z smart werden.

Drei Jahre sind schnell vergangen. Die kommenden drei Jahre werden ebenfalls im Flug vergehen. Möchten Sie 2024 wieder gewählt werden und wenn ja, warum?

JA! Es hat sich viel getan und es gibt noch viel zu tun. Ich bin 2018 nicht angetreten, um nach 6 Jahren wieder zu gehen. Wie ich schon sagte, bin ich mit vollem Einsatz und 120 Prozent Leidenschaft dabei. Gera hat viel Potenzial und ich möchte unbedingt aktiv bei der Weiterentwicklung dabei sein. Ich weiß genau, dass sich der Weg lohnt, auch wenn er oft steinig ist.

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft. Haben Sie konkrete Wünsche für die Stadt? Und darüber hinaus: Gera in 20 Jahren – Welche Bilder entstehen in Ihrem Kopf dazu?

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es eine lebendige Stadt mit einer belebten Innenstadt, viele Kneipen bis zum Steinweg, viele Kinder und Generationen im Einklang. Gera als Kulturmix, mit Einkaufskultur, Essenskultur, Museumskultur und so vielem mehr, zukunftsgerichtet, urban und gleichzeitig traditionell. Es geht nicht darum, auf Krampf allem den Stempel „modern“ drauf zu drücken, sondern einfach bei gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten.

Wenn man Gera bei Google eingibt, sollte der erste Treffer sein:
„Gera auf der Überholspur!“