Interview mit Dr. Willi Polte

Auch heute schlummern noch wertvolle Schätze auf der Festplatte der Wirtschaftspost. Als Einstieg für die neue Rubrik „InterviewBox“ der Wirtschaftspost hier eine Gesprächsaufzeichnung von 2012 aus der Kantine des Landtags von Sachsen-Anhalt mit dem Magdeburger Ex-Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Polte (geb. am 11. Januar 1938 in Niegripp), der erst vor wenigen Wochen am Telefon bestätigte, dass seine Antworten aus dem Jahr 2012 kaum an Aktualität verloren hätten.
Dr. Polte und Freimut Hengst kennen sich bereits seit 1978, als Willi Polte an der damaligen TH Magdeburg Seminargruppenbetreuer von Freimut Hengst war, der damals in der Sektion „Technologie“ als Fertigungsprozessgestalter sein Studium aufnahm.


Freimut Hengst: Stimmt es, dass Sie bereits 1960 der SPD beigetreten sind? Was waren damals Ihre Motive, wer waren Ihre Vorbilder in der sozialdemokratischen Partei Deutschlands?

Dr. Willi Polte: Am 18. August 1960 suchte ich das Ostbüro der SPD in Berlin-West auf, um eine Parteimitgliedschaft zu beantragen. Hintergrund war die Westbindungspolitik der Adenauer-Regierung die zwangsläufig zu einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands führte und meines Erachtens zu Lasten der Menschen in der DDR ging. Gegen diese Politik setzte die SPD ihren „Deutschlandplan“ mit dem Ziel, ein weiteres Auseinanderdriften von Ost und West zu verhindern. Als junger Mensch wollte ich mich politisch eindeutig positionieren und mit einer „Diktatur des Proletariats“ wie in der DDR hatte ich ohnehin nichts am Hut. Nur eine Politik zur Herbeiführung der Einheit Deutschlands bot die Chance, die kommunistische Diktatur zu überwinden. Kurt Schumacher, Willy Brandt und Ernst Reuter, Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, waren für mich politische Leitfiguren die für ein freies und demokratisches Deutschland standen.

Freimut Hengst: Wie haben Sie nach der deutschen Teilung die Zeit bis zur Wende wahrgenommen?

Dr. Willi Polte: Der Bau der Berliner Mauer 1961 dokumentierte den politischen und wirtschaftlichen Bankrott der DDR, verdeutlichte aber auch die uninspirierte und leidenschaftslose Wiedervereinigungspolitik der damaligen Bundesregierung. Die folgenden Jahrzehnte sind einerseits durch die fortgesetzte Repression im sowjetischen Machtbereich gekennzeichnet, dafür stehen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, des Aufstandes der Arbeiter der Danziger Leninwerft 1976 und des Volksaufstandes 1989 auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking, andererseits durch die von Willy Brandt , Walter Scheel und Egon Bahr verfolgte Ostpolitik ab 1969. Gemäß dem von Egon Bahr postulierten Grundsatz: „Wandel durch Annäherung“ folgte der „Helsinkiprozess“, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, mit der Schlussakte 1975. Dazu zählt aber auch die Gründung der polnischen Gewerkschaft „Solidarnosc“. Letztlich waren es aber die wirtschaftliche Ineffizienz , der ideologische Starrsinn und die Reformunfähigkeit im sowjetischen Machtbereich, die Bürgerrechtsbewegungen beförderten und schließlich den Weg für die Einheit Deutschlands und die Überwindung des Kalten Krieges eröffneten.

Freimut Hengst: Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit der Wende, als Sie zu den Gründungsmitgliedern der SDP in Magdeburg gehörten und Bezirksvorsitzender Ihrer Partei wurden?

Dr. Willi Polte: Der Aufbruch und Umbruch vom Herbst 1989 und Frühjahr 1990 ist für jeden, der aktiv dabei war, eine unvergleichliche Phase im Lebenslauf. Anfänglich voller Angst, später mit wachsendem Selbstvertrauen konnte man sich politisch artikulieren und aktiv gestaltend einbringen. Es war ein Gefühl von Befreiung und von Freude über bisher nicht denkbarer Chancen, unsere „kleine Welt“ grundlegend zu erneuern , freier, demokratischer und zukunftsgerecht zu gestalten. Ich habe keinen Moment gezögert, als sich die Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP)ankündigte, mich sofort einzubringen. Wir waren die einzige Partei in der DDR, die sich im Wendeherbst neu gründete und den absoluten Machtanspruch der Sozialistischen Einheitspartei als Kernaussage in Frage stellte. Leider waren wir damals und sind heute viel zu wenige, die sich verbindlich in parteipolitischen Strukturen einbringen. Dadurch kam ich in herausgehobene gesellschaftliche Funktionen, die aber nicht Ausgangsziel meines politischen Engagements waren.

Freimut Hengst: Nach Ihrer ersten Wahl zum Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg wurde Magdeburg zur Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Was gab damals den Ausschlag, dass Magdeburg das Rennen gegen die Stadt Halle gewann?

Dr. Willi Polte: Für Magdeburg sprach vor allem der historische Aspekt. Im Zuge des Wiener Kongress 1815 wurde die Preußische Provinz Sachsen mit seiner Provinzhauptstadt Magdeburg gebildet. Als 1946 das Land Sachsen-Anhalt gegründet wurde, konnte Magdeburg die Hauptstadtfunktion aufgrund des hohen kriegsbedingten Zerstörungsgrades und dadurch fehlender geeigneter Räumlichkeiten nicht wahrnehmen. Bis zur Auflösung des Landes 1952 war Halle Interimshauptstadt. Letztlich war es eine Entscheidung des ersten 1990 gewählten Landtages, und offensichtlich konnten wir im Vorfeld die Mehrheit der Abgeordneten von Magdeburg überzeugen.

Freimut Hengst: Einer Ihrer größten Erfolge als Oberbürgermeister war die Austragung der Bundesgartenschau in Magdeburg. Wie kam es dazu?

Dr. Willi Polte: Eigentlich war meine Idee, die BUGA nach Magdeburg zu holen, das Ergebnis eines Zufalls. Im August 1990 lud mich der damalige Regierende Bürgermeister und Bundesratspräsident, Walter Momper, zu einer Reise nach Bonn ein. Dabei ging es um den anstehenden Einigungsvertrag mit der für die Städte in der Noch-DDR vorgesehenen Regelung für eigentumsrechtliche Altansprüche nach dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“. Dabei lernte ich auch den Rheinauenpark kennen, entstanden im Rahmen einer Bundesgartenschau. Sofort dachte ich an unser Gelände auf dem Kleinen und Großen Cracauer Anger, dass zwar noch durch russische Truppen belegt war, aber eines Tages sich gut eignen würde für eine Umgestaltung durch eine Bundesgartenschau.