Interview zum 1. Mai mit Susanne Wiedemeyer

Susanne Wiedemeyer, Stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirkes Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt und Landesleiterin Sachsen-Anhalt: “Es gibt einige fortschrittliche Tarifabschlüsse, die während der Corona-Krise besiegelt wurden.”

Unter welchem Motto steht der 1. Mai dieses Jahr? Welche Botschaften möchtest Du den Lesern meines Onlinemagazins WIRTSCHAFTSPOST aus DGB-Sicht übermitteln?

Der 1. Mai steht in diesem Jahr unter dem Motto „Solidarisch ist man nicht alleine!“ Der DGB und die Gewerkschaften machen sich stark für gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein solidarisches Miteinander. Ich finde, das Motto ist gut gewählt. Denn es gilt in Zeiten von Corona mehr denn je. Solidarität bedeutet für uns in diesem Jahr vor allem „Abstand halten“.

Wie funktioniert gewerkschaftliche Kommunikation Interessenvertretung in einer Zeit, in der menschliche Begegnungen nahezu ausgeschlossen sind?

Die Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen machen uns allen schwer zu schaffen. Für Gewerkschaften bedeutete das zuletzt, auf Streiks oder Demonstrationen zu verzichten. Das heißt aber nicht, dass gewerkschaftliches Engagement ruht. Es gibt einige fortschrittliche Tarifabschlüsse, die während der Corona-Krise besiegelt wurden. Zu nennen wäre da bspw. der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt, der einen Arbeitgeberzuschuss zum Kurzarbeitergeld und Unterstützung für Eltern vorsieht.
Darüber hinaus stelle ich fest, dass sich unsere Arbeit gerade stark verändert. Vor den Einschränkungen hatte ich viele persönliche Kontakte, fuhr viel im Auto von Termin zu Termin. Heute verbringe ich viel mehr Zeit am Telefon oder in Videokonferenzen. Die Intensität ist ähnlich hoch, nur eben digitaler und mit etwas mehr räumlicher Distanz.

Gibt es Absichten oder gar schon konkrete Pläne des DGB auf Bundes- oder Landesebene als Ersatz für unmögliche Maikundgebungen, digitale Informationsangebote oder Kommunikationsplattformen im Internet anzubieten?

Obwohl wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr alles anders ist, steht für den Deutschen Gewerkschaftsbund fest: Wir begehen den Tag der Arbeit, indem wir unsere Aktivitäten ins Internet und vor allem in die sozialen Medien verlagern. Wir rufen mit vielen Online-Mitmach-Aktionen Menschen dazu auf, gemeinsam digital für Solidarität und soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren.
Das zentrale Event am Tag der Arbeit ist eine mehrstündige Livestream-Sendung mit Musikern und Comedians, Talks und Interviews sowie Solidaritätsbotschaften aus ganz Deutschland. Mit dabei sind unter anderem: MIA., Konstantin Wecker, Jocelyn B. Smith, Sarah Lesch, Heinz Rudolf Kunze und viele mehr.

Aus dem Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt steuert der DGB zu diesem Stream einen Videoclip mit einer Rede bei, die von hundert Menschen gehalten wird. Sie ersetzt die ca. hundert Veranstaltungen, die zum Tag der Arbeit ursprünglich in den drei Bundesländern geplant waren. In Sachsen-Anhalt haben wir zwei Wochen vor dem Tag der Arbeit in unseren Online-Kanälen Facebook und Twitter einen Countdown zum 1. Mai gestartet. In Video-Botschaften bringen Menschen zum Ausdruck, was Solidarität konkret für sie bedeutet. In thematischen Sharepics wird die Situation der Beschäftigten – insbesondere auch vor dem Hintergrund der Covid-19-Einschränkungen – thematisiert.

Besteht die Möglichkeit, in der VIDEOBOX der WIRTSCHAFTSPOST am Mai einen Link auf eine Video-Festrede zu setzen, die dann pünktlich im Internet verfolgt werden kann?

Das ist möglich. Unter dem Link www.dgb.de/erstermai gibt es alle Informationen rund um den 1. Mai und hier kann der Livestream verfolgt werden.

Welche Ideen, Wünsche oder Forderungen formuliert der DGB Sachsen-Anhalt in Zeiten von Homeoffice und Kurzarbeit an die Wirtschaft unseres Landes?

Wir wissen, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Krise vor großen Herausforderungen stehen. Da ist zum einen die berufliche bzw. wirtschaftliche Unsicherheit. Wie geht es mit meinem Betrieb weiter? Werde ich meinen Job verlieren? Komme ich mit Kurzarbeitergeld über die Runden. Das sind Fragen, denen wir uns stellen und auf die wir konkrete Antworten haben. Als Gewerkschaften haben wir uns für ein höheres Kurzarbeitergeld eingesetzt. Das wurde zwar von der Bundesregierung beschlossen. Allerdings beträgt das Kurzarbeitergeld erst ab dem siebten Monat 80 bzw. 87 Prozent des Nettolohns. Die Erhöhung kommt für viele zu spät mit der Konsequenz, dass sie zum Kurzarbeitergeld Hartz IV beantragen müssen. Deshalb sehen wir auch die Arbeitgeber in der Pflicht – ähnlich wie in vielen Tarifverträgen beschlossen – das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Auf der anderen Seite gibt es viele berufstätige Eltern, die Kinderbetreuung und Unterricht, Familie, Haushalt und Job unter einen Hut bekommen müssen. Die sind am Limit. Deswegen muss es auch fürs Home Office klare Regeln wie bspw. zur Arbeitszeit geben.

Gibt es gewerkschaftspolitische Ansätze, die aktuelle Krise durch Erkenntnisse aus der Gegenwart vielleicht sogar in eine Aufbruchstimmung einmünden zu lassen, von der vor allem die Arbeitnehmer profitieren könnten, wenn es wieder aufwärts geht?

Wichtig ist zunächst, dass wir alles daran setzen, den ökonomischen und gesellschaftlichen Schaden in Grenzen zu halten. Das ist bereits eine Mammutaufgabe. Aber sowohl Bund als auch die Länder haben schnell reagiert. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote für in Not geratene Betriebe, für Kleinstunternehmen und Selbständige. Das ist gut. Wenn die Wirtschaft wieder hochfährt, muss aus meiner Sicht der Gesundheitsschutz Priorität haben. Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht und müssen Maßnahmen ergreifen, die die Gesundheit der Beschäftigten schützt. Ein konsequent umgesetzter Arbeits- und Gesundheitsschutz erhält auch die Geschäftsfähigkeit des Betriebs und ist insofern eine Voraussetzung, dass auch in Zukunft erfolgreich gewirtschaftet werden kann.